Zwettl - Zisterzienser-Stift, Zwettler Bärenhaut (Stifterbuch, Liber fundatorum)
(1310 bis 1320)


Stiftsarchiv

Das Stifterbuch des Klosters Zwettl, der "Liber fundatorum", entstand im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts (1310-1320) und enthält die Frühgeschichte der Kuenringer und des Klosters sowie mehr als 400 Urkundenabschriften, oft mit erläuternden Abschnitten. Berühmt ist die seit der Neuzeit nachweisbare Bezeichnung des Kodex als "Bärenhaut" nach dem Einband aus der Haut eines "Saubären", eines Zuchtebers. Das Buch erzählt die Geschichte der Stifterfamilie und damit des Klosters, es ist zugleich Stifter- und Klosterchronik, in der mit den Urkunden alle Besitz- und Rechtsverhältnisse festgehalten werden. Die Frühgeschichte der Kuenringer und des Klosters wird in drei Formen erzählt: einer lateinischen Verschronik, einer erweiterten Prosafassung und einer deutschen Reimchronik. Die älteste Fassung ist die Verschronik, die vermutlich unter dem Eindruck des wohltätigen Wirkens Hadmars II., der daher der als "zweiter Stifter" des Klosters bezeichnet wurde, bald nach seinem Tod (1217) entstand. Die Texte wurden durch Bilder ergänzt, überwiegend Stammbäume der Kuenringer. Bekannt ist vor allem der farbige Stammbaum über die erste Generationen der Kuenringer auf Bl. 8, gleichsam das "Titelbild" der Bärenhaut.
Die Geschichte des Hauses wird über die genealogische Abfolge vom Vater auf den Sohn seit Azzo, dem heldenhaften Ahnherrn der Kuenringer im 11. Jahrhundert, dargestellt. Der überaus komplexe Vorgang der Entstehung eines Adelshauses hat damit einen eindeutigen "Anfang", der sich in gerader Linie bis zur aktuellen Gegenwart fortsetzt und als Geschichte erzählbar wird. Diese Geschichte erzählt weniger die biologische oder geschichtliche Abfolge der Ereignisse und Personen, sondern malt aus vielen Elementen ein Bild, das vor allem vornehme Herkunft, Königsnähe, Verdienst um Land und Landesherren, Würden und Rechte "von Beginn" an vermitteln soll: Die Kuenringer waren "immer schon" die vornehmsten und mächtigsten Herren des Landes - und ihre Stiftung Zwettl gehört daher auch zu den vornehmsten des Landes. Solche Gründungsgeschichten gestalten Wahrheit, wie man sie sah, mit Bausteinen, die auch das Publikum für wahr halten konnte. In ihnen wird vor allem das Selbstverständnis der Generation der Kuenringer zur Zeit Leutolds I. (1243-1312) greifbar. Die Anlage des Stifterbuches steht sicher mit seinem Wirken zugunsten des Klosters in engem Zusammenhang. Er wird auch als "dritter Stifter" gefeiert.
Entscheidend für die Entstehung des "Liber fundatorum" war schließlich Abt Ebro (1273-1304), der in seiner Amtszeit wesentliche Vorarbeiten für die historische und wirtschaftliche Bestandsaufnahme leistete. Durch die Zunahme der Rechtsgeschäfte hatte Ebro 1280 ein Urbar - ein Verzeichnis über die Einkünfte - angelegt. Einleitung und Haupttext dieses ältesten Zwettler Abgabenverzeichnisses wurde in der Bärenhaut verwendet. Letzter Anstoss für das Stifterbuch war wohl der Verlust zweier Urkunden und der ca. 1305 erteilte Rat des Passauer Bischofs Wernhart, man möge Abschriften von allen Urkunden anfertigen. Die Entstehung des Kodex lag aber auch im Trend der Zeit, die durch ansteigende Schriftlichkeit und zunehmende wirtschaftliche Komplexität gekennzeichnet war. Das Stifterbuch diente der Rechtssicherung, dem Legitimationsbedürfnis des Adelshauses und der Mönche, der Repräsentation und der Propaganda, indem mit Geschichten und Urkunden die "corporite identity" der Kuenringer und ihres Klosters festgehalten wurde.
(Quelle: J. Rössl, in: Die Kuenringer - Das Werden des Landes Niederösterreich, Katalog des NÖ Landesmuseums, Neue Folge Nr. 110, 1981, S. 173-175)